Freie Presse, 24.09.2016: Zum Betreuen bestellt, von Bürokratie überrollt

24. September 2016

Seit Jahren fordern Berufsbetreuer eine Reform ihres Standes. Jetzt haben sie die einmalige Chance, dem Bundesjustizministerium ihre Meinung zu sagen.
Von Renate Färber

Chemnitz. Sie helfen Menschen, die ihren Alltag nicht alleine meistern können, stecken aber selbst in größten Problemen: Berufsbetreuer. In Sachsen gibt es etwa 700 von ihnen sowie 33 anerkannte Betreuungsvereine. Vom Gericht bestellt, unterstützen sie Menschen, die etwa psychisch krank sind, körperliche oder geistige Behinderungen beziehungsweise Einschränkungen in der Entscheidungs- oder Handlungsfähigkeit haben. Viele ihrer Klienten leben in schwierigen Verhältnissen. Bundesweit nutzen 1,3Millionen Volljährige eine solche, für sie lebenswichtige Hilfe.

„Die Zahl der Menschen in komplexen Problemlagen steigt stetig“, sagt Fred Fiedler, Sprecher der Landesgruppe Sachsen des Bundesverbandes der Berufsbetreuer (BdB). Gründe: Das Durchschnittsalter wachse, Familienstrukturen lösten sich auf und soziale Einrichtungen könnten wegen klammer Kassen weniger leisten. „Die meisten von uns haben die Fähigkeiten, um auf Gebieten wie Recht, Medizin, Psychologie und Versicherungswesen vielfältigste Unterstützung zu geben“, sagt der Betreuer.

Alles gut also? Nichts ist gut, sagen Experten. Seit Jahren arbeiteten sie unter Bedingungen, die nicht hinnehmbar seien. Sie wollen, dass ihr Beruf mehr Anerkennung erfährt. Das schließt Forderungen nach mehr Zeit für Klienten und höherer Vergütung ein – zehn Jahre gab es keine Anpassung. Je nach Qualifizierung liegt der Stundensatz zwischen 22 und 44 Euro, wovon aber alle Ausgaben wie Büro- und Fahrtkosten beglichen werden müssen. Pro Klient und Monat können im Schnitt 3,1 Stunden abgerechnet werden. „Die reichen bei der Fülle der Aufgaben nicht, um Betroffenen zu ihren Rechten zu verhelfen und sie fit für ein selbstbestimmtes Leben zu machen“, so Fiedler.

Die Arbeit werde komplizierter. Die Betreuer müssten über immer höhere bürokratische Hürden springen. Es sei ein „nervtötender Bürokratismus“ mit hohen Barrieren für die behinderten Menschen. „Da werden Leistungen erst mal verweigert, obwohl sie von Gesetzes wegen dem Betroffenen zustehen. Die einen vom Amt sagen Ja, die anderen vom gleichen Amt Nein zur selben Sache. Ärzte entmündigen unsere Klienten, weil sie angeblich nicht in der Lage seien, selbst Entscheidungen in Sachen Gesundheit zu treffen, und auch Banken tragen ihr Scherflein dazu bei, unsere Arbeit zu erschweren.“ Einige Geldhäuser wollten plötzlich grundsätzlich keine Verfügungen von Klienten über ihr Konto akzeptieren. Es bestehe ein erhöhtes Risiko durch die nicht vorhandene Geschäftsfähigkeit. „Dafür gibt es keinerlei rechtliche Handhabe. So eine Praxis führt zurück in die Zeit der Entmündigung. Doch die gibt es nicht mehr, seit 1992 das Betreuungsrecht das Vormundschaftsrecht abgelöst hat. Die von uns betreuten Frauen und Männer sind in der Mehrzahl geschäftsfähig, wahlberechtigt und ehefähig.“

Die Ansprüche an die Betreuer steigen. Deshalb, so der BdB-Vorstand, sei es ein Unding, dass jeder, der möchte, Berufsbetreuer werden könne. Viel zu oft setzten Verantwortliche auf das Ehrenamt, aber das reiche nicht. Es brauche gut ausgebildete Leute, um noch besser Hilfe leisten zu können. Die Tätigkeit müsse Profession werden und mit einer entsprechenden Ausbildung einhergehen. „Der Beruf muss um ein Vielfaches attraktiver werden, um junge Leute anzuziehen“, sagt Fiedler. Wie wichtig das ist, zeigt die Altersstruktur der Betreuer. Die meisten sind älter als 55. In den nächsten zehn Jahren werde fast die Hälfte gehen. Eine Reform ihres Arbeitsgebietes halten die Betreuer deshalb für dringend notwendig. Letztlich müsse sich dies alles in einem neuen Berufsgesetz wiederfinden. Dafür werben die Verantwortlichen seit Jahren, haben Gespräche mit Landes- und Bundespolitikern geführt. In Sachsen zeigten sich diese aufgeschlossen, sagen Betreuer.

Seit 1. Juli haben sie neue Hoffnung, dass ihre Probleme endlich „ganz oben“ gehört werden. Denn das Bundesjustizministerium hat eine Online-Befragung zur Situation der beruflichen Betreuung gestartet, an der jeder Betreuer teilnehmen kann. Nun habe man die einmalige Chance, dass die Forderungen erfüllt werden könnten.

„Sollte die Studie belegen, dass die derzeitigen Pauschalen hinsichtlich Zeit und Vergütung nicht angemessen sind, hat das Ministerium Verbesserungen in Aussicht gestellt“, betont der BdB-Bundesvorstand. Es sei machbar, Änderungen im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu erreichen. Sachsen werde, wenn es die Studienergebnisse fordern, an einer Anpassung des Betreuungsrechtes mitwirken, hieß es aus dem Justizministerium.

12.000 Berufsbetreuer

Bundesweit arbeiten 12.000 Berufsbetreuer. 1995 wurden 625.000 Menschen betreut, derzeit 1,3 Millionen.

Berufsbetreuer sind etwa Sozialpädagogen, Psychologen, Juristen, Betriebswirte, Krankenpfleger, Hausfrauen, Diakone, Erzieher, Naturwissenschaftler, Ingenieure.

Sachsen gab 2014 fast 46,6 Millionen Euro für die Betreuungen aus: Rund 11.400 Euro je 1000 Einwohner.

Auch Ehegatten, Eltern oder Kinder, mit Vollmacht oder als gesetzliche Vertreter bestellt, dürfen für eine volljährige Person Angelegenheiten rechtsverbindlich regeln. Zurzeit gibt es in Sachsen neben den selbstständigen rund 4500 Betreuer aus Familien sowie 600 Ehrenamtler.